Im Oktober 2021 veröffentlichte ein Tübinger Professor für Klassische Archäologie, dessen Namen ich hier ausspare, weil ich keine Kritik an Ihm üben will, sondern nur an einer Analyse, die er für die Frankfurter Allgemeine Zeitung schrieb, seine Meinung über einen Farbanschlag auf den großen, weißen Augustus-Kopf im Hof des Tübinger Schlosses.
Hier kann man den Artikel lesen.
Im August 2021 hatten Unbekannte die 1994 von Michael Pfanner geschaffene Skulptur mit grüner und gelber Farbe markiert. „Die Täter sowie ihre Motive sind unbekannt“ – dennoch oder gerade deshalb spekuliert der Autor eine halbe Zeitungsseite, denn „der Anschlag greift das geläufige Vokabular politisch motivierten Widerspruchs auf.“
Nun gut, es spricht wenig gegen Spekulationen. Aber schon das erste Beispiel für „geläufiges Vokabular politisch motivierten Widerspruch“ – was eine wirklich schöne Formulierung ist – passt nicht auf Augustus‘ eingefärbten Kopf. Der Autor schreibt, der Farbbeutelanschlag 1999 auf Joschka Fischer habe kein Erläuterungsschreiben benötigt. Dennoch, es gehört zum guten Ton unter linken Farbmarkierenden, diese Taten im Nachhinein zu beschreiben, zu erläutern, zu politisieren. Flugblätter, Bekennerschreiben, Indymedia, Tueinfo. Sicherlich, ein Farbbeutel auf Fischer hätte keine Pressemitteilung benötigt. Aber der Farbbeutelwerfer F., wie die in Wikipedia zitierte Agentur AFP 2002 schrieb, wendete sich mit seiner Erklärung vor Gericht und mehreren Pressemitteilungen erklärend an die Öffentlichkeit. „Der Angriffskrieg gegen Jugoslawien war völkerrechts- und grundgesetzwidrig.“ so die PM des Linksautonomen.
Dass solches Sendungsbewusstsein, solche politische Einordnung, fehlt, spricht doch stark gegen eine politische Tat. Dennoch, „als Lausbubenstreich oder blinder Vandalismus.“ will der Autor das Beschädigen des Kopfs nicht abtun. Stattdessen führt er Denkmalsturzbewegung, Black Lives Matter und die damals frisch veröffentliche Karte des Peng!-Kollektivs zu kolonialistischen Denkmälern ins Feld. Und, dass sich Augustus als Kritikobjekt eigne, schließlich sei er einer frauenfeindlichen Sklavenhaltergesellschaft vorgestanden und habe die römische Republik in eine militärisch gestützte Monarchie umgewandelt. Fast liest man daraus die Aufforderung, doch endlich zu ‚canceln‘.
Dennoch stellt auch der Autor fest: „Gemessen an anderen möglichen Anschlagszielen, liegen diese Vergehen jedoch in denkbar ferner Vergangenheit.“
Das offensichtlichere Ziel, wenn man denn schon auf Biegen und Brechen politischen Hintergrund vermuten will, wäre doch ein Einfärben gegen den a-historischen, weißen Marmor, der sich in seiner ausgeblichenen, unbemalten Form in die Lüge der „White Supremacy“ einreihen lässt, gewesen. Ziel des Anschlags wäre damit nicht der Kopf oder Augustus, sondern das Museum, für das er einlädt. Ein Brechen mit der Darstellung weißer Vorherrschaft, weißer (noch dazu falscher) Geschichte, würde sich auch leichter in die die Buzzwords BLM und Denkmalsturz einreihen. Diese Chance hat der Autor aber verstreichen lassen.
Selbstverständlich würde es für die Vandal*innen sprechen, wenn diese eine fundierte Kritik an der dargestellten Herrschaftsfigur hätten. Wenn sie Geschichtsbücher geprüft hätten, und dann erkannt hätten, dieser eine Herrscher, der hier übergroß im Hofe der Uni steht, über uns thronend, muss markiert werden als Symbol. Fuck Augustus! Fuck roman Monarchy! … Nur…. mir fehlt dazu der Glaube.
Es folgen einige durchaus interessante Gedanken zur Einordnung des Kopfs, besseren Anschlagszielen (Das Silcherdenkmal wird erwähnt, denkbar wären aber auch die zahlreichen kriegsverherrlichenden Gefallenen-Denkmäler der Tübinger Verbindungshäuser, die man abreißen könnte) und Denkmälern und deren Existenzberechtigung. Der Text endet in einem Anflug der Selbstkritik: „In Zeiten der erhöhten Sensibilität für die Bilder, mit denen wir unser Gemeinwesen ausstatten, wird jeder Übergriff als Statement lesbar.“ – Aber muss man alles lesen?
Eine weiße Fläche schreit danach, gefüllt zu werden. Dies benötigt keinen politischen Hintergrund. Das Fehlen eines Bekenner*innen-Schreibens spricht für mich gegen eine politsch motivierte Tat. Es dürfte, wie die vielen Male zuvor, ein Streich gewesen sein. Keine Cancel Culture. Das mag ärgerlich sein, denn damit hat Tübingen zwar die Reinigungskosten zu tragen, kann sich aber wiedermal nicht in einen aktuellen Diskurs einreihen. Über diesen Mangel der Provinz kann auch ein Essay in der FAZ nicht hinwegtäuschen.
Vielleicht werden ja wenigstens Eberhard und Karl gecancelt?
(Dieser Text beruht auf nicht-öffentlichen Tweets vom Oktober 2021.)